En Oostfrees vertellt- eine Ostfriesin erzählt- An East Frisian tells

 von "Wattlüü"

Aufgewachsen in Ostfriesland

Ein Kind des Meeres

Meine Augen sind geschlossen. Ich höre das Rauschen des Meeres, wie sich die Wellen brechen und langsam in Richtung Strand auslaufen. Der nasse Sand zwängt sich durch meine Zehen, bis das kalte Wasser meine Füße sanft umspült. Ich atme tief ein. Es riecht nach Meer. Ich kann es schmecken, fühlen, während die milde Brise mit meinen Haaren spielt. Es fällt mir schwer die Augen zu öffnen. Zu innig ist dieser Moment. Ich atme tief durch, mein Blick kehrt zurück  und dann liegt es da, das Meer in seiner ganzen  Unendlichkeit. Und während ich hinausschaue an den Punkt, wo sich die See mit dem Horizont verbindet, steigen auch Erinnerungen in mir hoch. Gedenken an die Menschen deren Leben und Alltag von dieser Küstenlandschaft geprägt wurden.

Gebannt hing ich,als Kind,  immer an den Lippen meines Vaters, wenn er von seinen Reisen auf See erzählte. Durch seine Schilderungen ließ er auch mich teilhaben, an ein Leben, weit weg vom Alltag auf dem Festland. So erlebte ich den  Sturm und die Angst der Männer mit, wenn der große Heringslogger  wie eine kleine Nussschale zum Spielball des Meeres wurde. Wenn aus der ruhigen See  plötzlich ein Ungeheuer wurde das sich aus den meterhohen Wellen  erhob. Sie drohte Männern und Schiff  mit in die endlose Dunkelheit zu ziehen. „Dann solltest du mit deinem Schöpfer im reinen sein!" sagte mein Vater.




So wie der Alltag meines Vaters, war auch das Leben meiner Mutter  eng mit dem Meer verbunden. Als junges Mädchen arbeitete sie auf den Netzböden der Heringsfischerei. Das Netzland war durch hohe Pfahlgerüste gekennzeichnet. Dort hingen die großen Fischernetze zum trocken. Dazwischen balancierten die Netzstrickerinnen und besserten mit ihren flinken Händen, die zerissenen Netze aus. Geschickt bewegten sie die langen, hölzernen Nadeln durch das Fangutensil.  Die Schäden war behoben. Nun waren sie wieder einsatzbereit und konnten hinab tauchen in die tiefen des Meeres.

Während meine Mutter der schweren Arbeit auf den Netzböden nachging, mein Vater weit draußen auf See war, verbrachte ich die Zeit bei meinen Großeltern. Das urige Haus von ihnen lag gleich neben der Heringsfischerei. So konnte meine Mutter ihre Mittagspause mit mir verbringen. Nur wenn das Tyfon eines Schiffes ertönte, das mit seinem Signal die Ankunft eines Loggers in seinen Heimathafen ankündigte, breitete sich helle Aufregung aus. Der Gesang der Frauen, der ihre Arbeit oft begleitete, verstummte. Sie stiegen herab von den Gerüsten aus Holz und folgten den Ruf des Tyfons.  Auch meine Mutter kam vorbei. Sie  nahm mich an die Hand und gemeinsam rannten wir zur Seeschleuse, denn mein Vater konnte auf einem dieser Schiffe sein. Ich sehe noch heute das Leuchten in ihren Augen, in dessen funkeln sich die Hoffnung auf ein wiedersehen spiegelte.

Dieses Bild vor mir, liegt mehr als 50 Jahre zurück. Es gab keine Handys oder Internet und so waren die Familien auf die Informationen der Funker und ankommenden Seeleute angewiesen, um etwas über die Angehörigen auf See zu erfahren. Zuhause saßen wir oft vor dem Röhrenradio im Wohnzimmer.  Über Norddeich Radio war es möglich, Grüße und kleine Nachrichten zu verschicken, die wir über den  Rundfunkempfänger  anhören konnten. Oft sah ich dann in die traurigen Augen meiner Mutter, die uns Kindern gegenüber die Angst und Sorgen  mit einem lächeln und aufmunterten Worten zu überspielen versuchte. Um so größer war die Freude, wenn uns der hagere Mann mit seiner Schiffermütze von der Reling herab zuwinkte um uns in den Arm zunehmen.


Während meine Eltern sich erzählten, was in den letzten Wochen und Monaten geschehen war, schlich ich in den Hausflur und legte mich auf den großen Seesack. Ich schloss meine Augen, umklammerte ihn ganz fest und weiß noch heute, wie es sich angefühlt hat. Der Geruch von Teer, Fisch und Salz kroch in meine Nase und ich wurde dann eins mit dem Meer.

Obwohl ich noch ein kleines Kind war, kann ich mich noch an diese Gerüche und Bilder erinnern, aus einer Zeit, wo das Meer nicht nur dem Lebensunterhalt diente. Es prägte die Menschen, ihre Sprache , Kultur und das soziale Leben  an der ostfriesischen Nordseeküste.

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