Wenn fremde Kulturen das Herz berühren
"Lautlos wie ein Indianer“
Ich hatte gerade die Geschichte über einen alten Mühlstein zu ende geschrieben, der für meine Familie eine besondere Bedeutung hat. Auf der Suche nach einem passenden Bild, stieß ich beim durchstöbern der Alben, auf ein Foto, welches zwei Kinder mit Federschmuck zeigt. Auf einmal musste ich lächeln, denn ich erinnerte mich wieder an diese Zeit, wo zwei kleine „Indianer“, das Haus unsicher machten. Während meine Gedanken den Weg auf das weiße Papier fanden, wuchs auch meine Neugier auf die Frage, woher ich als Kind „das Wissen“ über die "Indianer“ wohl hatte. Weit weg von uns, von einem fremden Erdteil, waren Eindrücke von den indigenen Kulturen in zwei kleine Kinderherzen geflossen.
Es war das Jahr 1966.
Ganz leise war es im Haus. Es schien, als würde die Stille jeden Winkel und jeden Raum ausfüllen. Es war so ruhig, dass das Ticken der alten Wohnzimmeruhr zu hören war. Ihr gleichmäßiges Schlagen verteilte sich in der Lautlosigkeit. Dann wich sie zurück, denn zwei Kinderstimmen mischten sich in die Ruhe mit ein und obwohl sie nur ganz leise zu hören waren, verstummte der Klang der Uhr. Die flüsternden Worte kamen aus der Küche. Der Tisch, an dem sich sonst ein Großteil des Familienlebens abspielte, war verschwunden. An seiner Stelle stand eine Konstruktion aus Wolldecken. Hölzerne Wäscheklammern hielten das Bauwerk zusammen, sodass auch nur wenig Licht eindringen konnte.
Das war unser kleines Reich!
Mein Bruder und ich saßen im Schutz unseres Hauses aus Decken. Oft verwandelten wir die Küche in ein kleine Fantasiewelt. Mal war es für uns eine Höhle in der wilde Tiere lebten. Ein anderes Mal spielten wir dort Vater, Mutter und Kind. An diesem Tag aber waren wir zwei kleine Indianer, die mit ihren Kindern in einem Zelt wohnten. Wir alle, auch meine Puppen Inge und Karl-Heinz, trugen den besonderen Kopfschmuck mit Vogelfedern, die wir Tage zuvor im Garten gefunden hatten.
Da saßen wir nun mit unserem Federschmuck, aßen Butterkekse und tranken den Saft aus dem Karton, der aussah wie eine Pyramide. Nun waren wir wieder bärenstark und konnten mit unseren Pferden über die Prärie reiten. Schwuppdiwupp, schob ich meinen Kopf durch den Spalt zwischen den Decken und erkundete die Küche. Niemand war zu sehen und achtsam schlichen wir aus unserem Versteck. Ich sprang auf die Eckbank, die jetzt ein hoher Berg für uns war und hielt Ausschau. Die Hand an die Stirn, so wie es der Matrose im Krähennest macht, bekam ich einen Überblick über das weite Land unserer Kinderwelt. Durch das Küchenfenster sah ich dabei meine Mutter, die draußen die Wäsche auf hängte. Der Dampf kroch aus den Kleidern, stieg auf und wurde eins mit den Nebelschwaden, die sie und die Natur umgaben. Kalt war es geworden, denn der erste Nachtfrost begleitete den Herbst. „Der Fingerbeißer ist da!“ sagte meine Mutter immer, wenn sie bei der Kälte die Wäsche draußen an die Leine hängte. Die eisige Luft drang zuerst in die Fingerkuppen und obwohl sie wie abgestorben schienen, breitete sich der beißende Schmerz in ihnen aus. Ich sah noch, wie ein anderes Kleidungsstück seinen Weg an die Wäscheschnur fand, als ich von der Bank heruntersprang.
Das Haus gehörte nun uns!
Wir schwangen uns auf unsere Pferde und mit lautem „Indianergeheul“ ritten wir von der Küche durch den Flur. Mit dem Stab des Steckenpferdes zwischen den Beinen galoppierten wir durch das Haus. Zwei kleine Indianer ritten nun lautstark von der Küche durch den Flur in die Stube und zurück. Dann hielt ich abrupt an, denn ein neues Abenteuer war geboren. „Brrr“, rief ich laut und klopfte sanft den Kopf meines Holzpferdes. Im Augenwinkel sah ich durch das Wohnzimmerfenster, das meine Mutter die letzten Kleidungsstücke aufgehängt hatte. Wir stiegen von unseren hölzernen Pferden, versteckten sie unter dem Wohnzimmertisch und krabbelten hinter das Sofa. Hier lauerten wir und konnten es kaum erwarten meine Mutter zu erschrecken.
Die Zeit verstrich. Wir waren so leise, das auch das Ticken der Uhr wieder zu hören war. Irgendwann machte sich Ungeduld in uns breit. Das dauerte uns alles viel zu lange und so krochen wir aus unserem sicheren Versteck und schlichen vorsichtig durch das Wohnzimmer. Bauchlinks unter den Wohnzimmertisch drunter durch, hinter dem Sessel lang, der unter dem Fenster stand, in Richtung Flur. Auf dem Weg dorthin hatte ich meine Oma entdeckt, die von oben kam und dann in der Küche verschwand. Mein Bruder und ich krochen vorsichtig weiter und versteckten uns hinter der Wohnzimmertür, die zur Hälfte geöffnet war. Zwischendurch schaute ich durch den Spalt in den Flur. Dabei nicht laut zu lachen fiel uns mächtig schwer und so presste ich meine Hand zusätzlich fest auf meinen Mund. Plötzlich kam meine Oma aus der Küche in die Diele und wir sprangen auf. Mit der Hand an den Mund machten wir Kriegsgeschrei nach und umzingelten sie. “Ihr kleinen Schlingel!“schimpfte sie, aber an ihrem Gesicht konnten wir erkennen, das sie uns nicht wirklich böse war. Ein paarmal tanzten wir noch um sie herum bevor wir wieder in der Küche verschwanden. Zurück in unserem Zelt begannen wir laut zu lachen und waren Stolz auf unser erfolgreiches Abenteuer.
Ende
Selbst als wir älter waren und sich unser Abenteuerland ausdehnte, waren einige dieser Tage geprägt von unserem "Indianderspiel". In kleinen Kindergruppen zogen wir durch die Wallhecken und Wiesen und traten ein in die Welt der Fantasie.
Ich war immer davon ausgegangen, dass wir unser "Indianerspiel" aus den Filmen hatten, die im Fernsehen ausgestrahlt wurden, aber das konnte nicht sein. Zu der Zeit hatten die schwarz-weißen Bilder noch keinen Einzug in unser Wohnzimmer gehalten. Das war erst viele Jahre später, wo anstelle des Röhrenradios nun der große, schwere Fernseher auf dem dunkel lackierten Holzschrank stand.
So wuchs ich auf mit einem festen Bild über die Native Americans, welches vertieft wurde, von der Westernromantik und dem Aufleben von Winnetou. Ich wollte mehr über diese Völker wissen, die mich schon in meiner Kindheit begleitet haben. Stimmt das Bild, das auch ich mir erschaffen habe? Was weiß ich wirklich, von den Menschen jenseits des Ozeans, die so fremd und doch vertraut scheinen. So setzte ich die Anker und begebe mich auf eine Reise durch die virtuelle Welt des Internets und hoffe Antworten auf meine Fragen zu finden.