En Oostfrees vertellt- eine Ostfriesin erzählt- An East Frisian tells

 von "Wattlüü"

Aufgewachsen in Ostfriesland

Vom Teepott, Kluntje und der Stille!

Wir Ostfriesen sind nicht nur Rekordhalter im Tee trinken, sondern genießen es auch diesen auf  eine ganz bestimmte Art und Weise zuzubereiten. Für die meisten von uns ist er fester Bestandteil unseres Alltags und unserer Lebensart.

Jeden Morgen führt mein erster Gang in die Küche. Ich befülle den Wasserkocher und während es sich langsam erhitzt, öffne ich in der Zwischenzeit die Fenster um die frische Morgenluft ins Haus zu lassen. Ich atme tief ein und vermisse dabei ein wenig die kühle frische Meeresluft und den sanften Wind, der wie ein alter Freund um das Haus schleicht. Hier, weit ab meiner Heimat, ist es die Ruhe, die mich begrüßt. Kein Blatt bewegt sich und alles wirkt, als hätte ein Maler diese Szenerie auf einer Leinwand verewigt. Ich löse mich von diesem Stillleben und kehre zurück in die Küche. Nur selten weiche ich von diese morgentlichen Ritual ab und während der heiße Tee, dampfend in meine Tasse fließt, frage ich mich, wieso mir dieses alles so wichtig ist.
Wieso trinken wir Ostfriesen eigentlich so gerne Tee? Warum machen wir es in dieser Art und Weise und warum ist es für mich mehr, als „nur “ eine Tasse schwarzen Tee zuzubereiten?
Während ich noch über diese Fragen herumsimulierte, schenkte ich mir den letzten Rest des Tees ein. Die kleine Flamme der Kerze, die inmitten des Stövchens brannte, pustete ich aus und stellte die leere Kanne auf ihr zurück. Feiner schwarzer Rauch stieg auf und der Geruch der erloschenen Kerze verteilte sich für einen kurzen Moment im Raum. Ich nahm die Tasse und bettete sie in meine Hände. Ich spürte die Wärme des Porzellans auf meiner Haut, denn meine Hände hatten sie, wie einen Kelch umschlossen. Während ich die letzten Schlucke des süßen Tees genoss, fiel mein Blick auf den kleinen Plastikschmetterling, der zwischen Tülle und Deckel seinen Platz gefunden hatte.
Während ich ihn so anschaute erinnerte er  mich an einen ganz besonderen Nachmittag. Ich war vielleicht 10 oder 11 Jahre alt und mit meiner Oma alleine zuhause.

Das Erbe in mir

Mit meinen Hausaufgaben war ich gerade fertig geworden, als meine Großmutter zu mir ins Wohnzimmer kam. Sie bat mich, ihr bei einer Tasse Tee  Gesellschaft zu leisten. Ich räumte meine Bücher und Hefte zurück in die Schultasche und ging zu ihr in die Küche. Als ich eintrat, war ich verwundert, denn der Tee war noch gar nicht fertig. Es standen nicht einmal Tassen auf dem Tisch und auch der Wasserkessel ruhte noch auf seinen angestammten Platz. Nur meine Großmutter saß wie gewohnt, auf dem alten, hölzernen Küchenstuhl.Ich denke es ist an der Zeit, das du uns den Tee machst!“
Oft genug hatte ich zwar zugeschaut, wie der Tee zubereitet wird, aber es unter ihren erfahrenen Augen selber auszuführen, war schon etwas besonderes .

So füllte ich den silberfarbenen Wasserkessel mit Wasser und platzierte ihn auf den Herd.



In der Zwischenzeit holte ich zwei Tassen aus dem Küchenschrank,stellte sie vor uns auf Tisch und legte einen silbernen Teelöffel auf den Unterteller. Nach und nach fand das Sahnekännchen, die Schale mit Kandis, Sahnelöffel und das Stövchen ihren Platz auf dem Tisch mit der bunten Wachsdecke. Nur den Teepott stellte ich auf die blank geputzte Spüle und setzte mich zurück auf den Stuhl, auf dem sonst meine Mutter saß. Ein angenehmes Schweigen lag nun  zwischen meiner Großmutter und mir und verscheuchte langsam die Nervosität, die doch in mir aufgestiegen war.

Dann wurde die Ruhe unterbrochen, da das Wasser  seinen Siedepunkt erreicht hatte. Es begann zu brodeln und kurz darauf ertönte der schrille Ton der Teekesselpfeife. Für einen Augenblick erfüllte es nicht nur die Küche, sondern sein lautes Signal schien jeden Winkel des Hauses zu erreichen.
Ein kräftiger Schwall des heißen Wassers fand nun seinen Weg in die bereitgestellte Teekanne. Am Grund des Bodens kam es dann wieder zur Ruhe. Ich stellte sie ab und wartete geduldig bis die Wärme den unteren Teil der Kanne erwärmte. Dann nahm ich das Gefäß aus Porzellan wieder behutsam an mich. Während meine rechte Hand den Henkel kräftig umschloss, legte sich die Tülle sanft auf den Zeigefinger der anderen Hand. Der Daumen gab  noch zusätzlichen Halt, als ich begann das Wasser im Innern in Bewegung zu bringen. Die langsam, kreisenden Schwungbewegungen sorgten dafür, das es sich überall im Bauch der Kanne verteilte. Ich spürte die Wärme, die das Steingut jetzt ausstrahlte, während meine Handgelenke weiter einen gleichmäßigen Rhythmus kreierten. Nachdem der Teepott ausgefüllt war mit der Hitze, die das Wasser abgegeben hatte, goss ich es durch die Tülle hinaus in den Ausguss der Spüle. Hier verschwand es für immer in der Dunkelheit des Abflussrohres und ich stellte die Teekanne ab.

Jetzt öffnete ich die alte schwarze Blechdose, die mein Vater von einer seiner Reisen aus China mitgebracht hatte. Seine Bemalung zeugte noch von seiner Herkunft und   bewahrte jetzt den losen ostfriesischen Tee in sich auf. Obenauf lag der Messlöffel, der sich nun durch die getrockneten Blätter schob, die sich dann auf dem Boden der Teekanne wiederfanden.

 


Das heiße Wasser gesellte sich dazu, aber nur zwei fingerbreit, denn die Blätter sollten sich nur langsam mit dem Wasser verbinden. Eine Minuten zog  nun der Tee in der offenen Kanne. Feiner Dampf stieg aus ihren Bauch auf und es sah aus, als wollte sie der Hitze im Inneren entkommen. Doch bevor es seine Wärme verlor, floß bereits neues Wasser aus dem Kessel hinein. Als hätte sich die tosende See erhoben, wirbelte es die kleinen Teeblätter noch einmal durcheinander. Dann wurde es dunkel in dem Bauch aus Porzellan. Der Deckel schob sich über die Öffnung und Stille kehrte ein.


Damit es beim Einschenken keine Kleckerei gab, fehlte jetzt nur noch der spezielle Tropfschutz.
Das Schwämmchen, das die schwarzen Perlen auffangen sollte, kam unter die Tülle.  Ich spannte  das Gummiband um    es dann am Henkel zu befestigen. Plötzlich rutschte der Metallhaken vom glatten Porzellan ab und sauste an mir vorbei. Instinktiv bückte ich mich und brachte meinen Kopf aus der Schusslinie. Wie ein Flitzbogen flog es durch die Küche und ich hörte meine Oma lachen. „ Bei dir braucht man ja einen Helm beim Teetrinken!“ kommentierte sie dieses Flugmanöver, während ich den Außreißer  vom Fußboden auflas. Nachdem der kleine Schreck überwunden war, musste auch ich über das Malheur lachen und beim zweiten Versuch, hatte es aber keine Chance noch einmal zu entfliehen.  Der  kleine Plastikschmetterling, der Teil des Gummibandes war, wurde korrekt platziert und die Kanne fand ihren Platz auf dem Teestövchen


Der Tee musste nun wieder einige Minuten ziehen. Nach einer Weile buksierte ich mit dem „Kluntjeknieper" jeweils einen dieser dicken Zuckerbrocken in die Tassen.

Das war gar nicht so einfach, denn der weiße Kandis hatte die Angewohnheit immer wieder aus der Zange heraus zu rutschen. "Bitte flips nicht raus!" dachte ich bei mir als der silberne Greifer in den Berg aus Zuckersteinen eintauchte. Erleichterung folgte, als die süßen Broken auf Anhieb ihren Platz in der weißen Schale aus Porzellan fanden


Dann nahm ich die Kanne vom Stövchen. Ich spürte wie ihr Gewicht meinen Arm nach unten ziehen wollte. In der anderen Hand hielt ich das Teesieb, welches die schwarzen Blätter davon abhalten sollte mit  hineinzutauchen. Die heiße Flüssigkeit floss nun durch das feinmaschige Sieb, dass über der Tasse schwebte. Es umschloss sofort den süßen Brocken, der in der Mitte der Tasse ruhte. Als sie sich berührten erklang ein kurzer, knisternder Gesang. Es schien als würde der Kandis zerbrechen, doch der kleine Berg thronte weiter als Ganzes inmitten der Schale aus Porzellan. Die Spitze lugte heraus und erinnerte mich an einen Eisberg. Dieser gab auch nur einen kleinen Teil von sich Preis, während der Rest sich in der Tiefe der See versteckte. Gerade noch rechtzeitig, fand die  Teekanne ihren Platz wieder auf dem Stövchen bevor die verbleibende Kraft meinen Kinderarm entgültig verließ.

Jetzt kam der kleine Sahnelöffel zum Einsatz, der noch unberührt neben dem Sahnekännchen lag. Schon oft hatte ich beobachtet, dass der Löffel für einen Moment  in der  Tasse mit heißem Tee gehalten wurde, aber der Sinn darin blieb mir bis dahin verborgen. 

Das ist ganz wichtig“, sagte meine Oma, denn bevor der kleine Silberlöffel zum ersten Mal die Sahne berührt, muss er im heißen Tee erwärmt werden um sich mit ihm zu verbinden. Diesen Kontakt herzustellen ist die Aufgabe des Gastgebers!“  So tauchte ich ihn ein  in meine Tasse, bevor er sich mit der weißen Süße füllte. Zuerst erhielt meine Großmutter ihr Wölkchen. Im Uhrzeigersinn fuhr ich mit dem gefüllten Löffel an der Innenseite des Porzellans entlang. In  der schwungvollen Handbewegung tauchte die Sahne dann ab in den heißen Tee, um kurz darauf wieder als Wölkchen aufzusteigen. Langsam schob sie sich so über die schwarze Flüssigkeit.



Ich hoffte, ich hatte dabei alles richtig gemacht, denn dem Wölkchen galt eine besondere Aufmerksamkeit. „Das ist eine Kunst für sich!“ bemerkte meine Oma, während sie dem kleinen Wunderwerk bei der Entstehung zu sah. Jetzt füllte ich den kleinen Löffel erneut mit Sahne und meine Hand wanderte mit ihm in Richtung meiner Tasse. Bevor ich das weiße Gut hineingeben konnte, hob meine Oma ihre rechte Hand .„Warte eben!“ hauchte sie. "Wenn du einmal Kummer und Sorgen hast oder Zeit brauchst, um dich auf dich  und das wesentliche im Leben zu besinnen, dann lasse die Ruhe in dein Herz einkehren. Nimm den Löffel, gebe die Sahne gegen die Uhr hinein und  halte so die Zeit für einen Moment an!

 Viele Jahre später, als ich bereits erwachsen war und eine eigene Familie hatte erinnerte ich mich an die Worte meiner Großmutter. Kummer durchströmte mein Denken und als ich dann so alleine vor meiner Tasse Tee saß und den Sahnelöffel in meiner Hand hielt, erinnerte ich mich an diesen Nachmittag und führte die Sahne gegen den Uhrzeigersinn ein. Jetzt verstand ich, was meine Oma mir damals vermitteln wollte.




Heute beschäftigt sich meine Enkelin auf ihre Art mit dem Erhalt unserer ostfriesischen Teekultur. Es berührt mich und erfüllt mich mit Stolz, zu sehen, das auch sie dieses Erbe in sich trägt.


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